26.06.1992 - Gutachten des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim


Gutachten des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim vom 29.06.1992 Aktenzeichen: 500-290692-Sä/St-fec

Am 07.05.1992 wurde die ehemalige Bodensee-Autofähre MEERSBURG am derzeitigen Liegeplatz im Hafen der Segelschule Raschewki in Überlingen von den Unterzeichnern besichtigt.

Die Besichtigung erfolgte, um festzustellen, ob eine Restaurierung des Fahrzeuges mit dem Ziel der Wiederinbetriebnahme als Fahrradfähre auf dem Bodensee technisch als möglich und aus historischer Sicht als wünschenswert (weil erhaltenswert) eingeschätzt wird.

Auf Grund der Ergebnisse der Besichtigung des Schiffes in seinem jetzigen Zustand und der Recherchen zum historischen Stellenwert gerade dieses Schiffes wird von den Unterzeichnern die Erhaltung der Fähre empfohlen.

Begründung:


1. Technischer Zustand

Das Fährschiff wurde 1928 auf der Bodanwerft in Kressbronn als Stahlschiffskörper in Nietbauweise gebaut.

1.1 Hauptabmessungen


Die Hauptabmessungen sind:

Länge über Alles 32.00 m
Breite über Scheuerleiste 9.40 m
Breite über Aufbau/ Hauptspant 9.00 m
Fahrbahnbreite (PKW/LKW) 7.20 m
Seitenhöhe bis Fahrbahndeck 2.20 m
Gesamthöhe über Basis 6.20 m
Gesamthöhe über Wasserlinie 5.15 m
Tiefgang leer/ beladen 1.00 m / 1.25 m
Verdrängung leer ca. 140 t
Zuladung ca. 60 t
Geschwindigkeit leer 17.50 km/h
Antriebsleistung 2 x 90 PS
Stromversorgung Gleichstrom 5KW/110V
Drei wasserdichte Querschotten, davon das mittlere mit einer Schottür, teilen das Schiff in vier Abteilungen.

1.2 Maschinenanlage

In der Vor- und Achterpiek, die jeweils durch Luken im Oberdeck zugänglich sind, befinden sich die Ruderanlagen und je zwei Stevenrohrstopfbuchsen für die Propellerwellen.

Das Schiff wird angetrieben durch zwei umsteuerbare MWM-Diesel Typ RD 25 mit einer Leistung von je 90 PS.

Jeder Motor hat an beiden Enden einen Abrieb. Über eine Schaltkupplung kann der Motor mit der vorderen oder achteren Wellenanlage verbunden werden.

Die Stromerzeugung erfolgt über einen dieselgetriebenen Generator.

Die Kommandoübertragung erfolgt mittels mechanischen Maschinentelegrafen von der Brücke zum Maschinenraum.

Die Ruderanlage wird ebenfalls direkt von der Brücke über Seilzüge und Gestänge betätigt. Die jeweils in Fahrtrichtung vorn befindlichen Ruder können mechanisch in Mittellage verriegelt werden.

1.3 Schiffskörper

Die Aufbauten weisen teilweise starke Rostbildung auf, insbesondere im Bereich der Wassergräben. Die gesamten Verschalungen innen müssen überholt, teilweise erneuert werden.

Das Oberdeck ist mit einem stark ausgetrockneten und teilweise beschädigten Holzbelag bedacht, der großflächig mit Oel verunreinigt ist.

Das darunter liegende Stahldeck ist vermutlich insbesondere im Bereich der Montageluken teilweise durchgerostet und undicht.

Die Verzurreinrichtungen (Winden, Poller) sind vorhanden und reparierbar.

Der eigentliche Schiffskörper ist von außen noch mit einem festhaftenden Anstrich versehen.

Im Schiffsinneren gibt es an der Außenhaut keine Hinweise auf großflächige starke Abrostungen oder gar Wassereinbruchgefahr.

Punktuelle Ultraschalldickenmessungen ergaben Materialdicken von ca. 5,4 mm.

Das Bergholz ist rundherum stark beschädigt und muß komplett erneuert werden,

das Schanzkleid ist teilweise erneuerungsbedürftig.

1.4 Gesamteinschätzung des techn. Zustandes

Das Schiff befindet sich trotz seines Alters und trotz der mehrjährigen Nutzung als Ramm- und Kranponton insgesamt in einem guten Gesamtzustand.

Die Maschinenanlage und die Hilfseinrichtungen sind fast vollständig erhalten, und es ist zum großen Teil wahrscheinlich sogar noch die Originalausstattung.

Unter diesen Gesichtspunkten ist eine Erhaltung des Schiffes aus technischer und restauratorischer Sicht unbedingt zu befürworten.

2. Notwendige Anpassungen

Bei einer Wiederinbetriebnahme des Schiffs (auch als Fahrradfähre) sind eine Reihe von Anpassungen an heutige Vorschriften notwendig z.B.

  • Fäkaliensammelbehälter
  • Lenzwasser-Entöler oder Sammelbehälter mit Abgabe an Land
  • Einbau (teilw.) moderner Kommandoeinrichtungen (neben bzw. zusätzlich zu den alten vorhandenen)
  • Erneuerung der Stromversorgungseinrichtungen einschl. Notstromversorgung und der kompletten Verkabelung
  • Modernisierung der Sicherheits- und Rettungseinrichtungen.

Es ist ratsam, alle diese Probleme bereits im Vorfeld mit den Klassifikationsbehörden, der SUK und der BSBG abzustimmen und die Aufsichtsorgane ständig in die Restaurierung mit einzubeziehen.

3. historische Aspekte


Auch aus historischer Perspektive besteht kein Zweifel an der Erhaltungswürdigkeit des Schiffs. 1928 als erste Autofähre auf dem größten deutschen Binnensee- wenn nicht überhaupt in Europa- in Dienst gestellt, eröffnete es eine neue Epoche in der Technik der Binnenschiffahrt und setzte gleichzeitig bedeutende Marksteine in der Verkehrsgeschichte der Bodenseeregion.

Diese verkehrsgeschichtliche Bedeutung reicht weit über den engeren Bereich der Schiffahrt hinaus: Als Transportfahrzeug für Autos und Personen dient das Verkehrsmittel ‘‘Fähre‘‘ als wichtiges Bindeglied in der für den reinen Landverkehr ungünstigen Topographie des Bodenseeraumes und repräsentiert gleichzeitig die ‘‘Schnittstelle‘‘ zwischen verschiedenen Verkehrsträgern. So läßt sich gerade hier ausschnittartig das Zusammenspiel von Wasser- und Straßenverkehr veranschaulichen und sinnvolles gegenseitiges Ergänzen ebenso aufzeigen wie die nahezu zwangsläufig entstehende Konkurrenz.

Die Fähre als materielles Zeugnis der Verkehrsgeschichte des Bodenseeraumes und die Bedeutung des Themas ‘‘Verkehr‘‘ für diese Region überhaupt – zu deren Kennzeichen ja gerade das historische ‘Abdriften‘ in den Verkehrsschatten und der Verlust internationaler Durchgangsverbindungen gehört – legen es nahe, das Erhalten und Restaurieren des Objekts mit musealer Vermittlung der engeren und weiteren historischen Zusammenhänge zu verbinden.

Anknüpfungspunkte werden sich in großer Zahl finden lassen: So eignet sich das Schiff, obwohl Autofähre, bei entsprechender Aufarbeitung zum Beispiel auch, mit dem ‘‘Eisenbahntrajektverkehr‘‘ eine zweite Schnittstelle zwischen verschiedenen Verkehrsträgern zu dokumentieren und museal zu behandeln. Diese Verkehrsart war von der Erschließung der Region für die Bahn bis zur Fertigstellung der sogenannten "Bodenseegürtelbahn" um die Jahrhundertwende von großer Bedeutung; sie wurde Mitte der 1970er Jahre auf dem ganzen See eingestellt, ohne daß materielle Zeugnisse überlebt hätten.

Auf die Regionalgeschichte des Bodenseeraums bezogen, steht die Fähre nicht nur für die Schiffahrtsgeschichte, sondern für die Verkehrsgeschichte überhaupt; für die technisch unterstützte Überwindung natürlicher Hindernisse und die massive Beschleunigung der Mobilität, aber auch für den Beginn des ‘‘Autozeitalters‘‘ und den Anfang einer widersprüchlichen, in Teilen verhängnisvollen Entwicklung: Einerseits förderte der Autotransport über Wasser die touristische Erschließung des Raumes durch den motorisierten Individualverkehr mit allen Folgen für Wirtschaft, Infrastruktur und Selbstverständnis dieser Region, andererseits – und hier reicht die Bedeutung bis in die unmittelbare Gegenwart – kam mit der Eröffnung der Fähre vor gut sechs Jahrzehnten jene Verkehrslawine in Gang, die zu den heute kaum noch beherrschbaren Verkehrsproblemen durch ‘‘Autotourismus‘‘ und Ausflugsverkehr am See geführt hat.

gez.

Jürgen Säger

Dr. Bernhard Stier